Gemeinsames Sorgerecht

 

Leserbriefe: «Jährlich 14 000 Scheidungswaisen», 28.2., und «Neubeginn für Scheidungskinder», 10.3.06

Wir möchten Frau Kathrin Wirz in den meisten Punkten, die sie erwähnt, Recht geben. Jedoch sind wir überzeugt, dass der Autor des Leserbriefes «Jährlich 14 000 Scheidungswaisen» realitätsnäher ist und weiss, wovon er spricht. Sehr subtil weist er darauf hin, dass 14 000 Kinder pro Jahr zu «Halbwaisen» werden. Als «Halbwaise» zu leben bedeutet nicht, in bedauerlichen Verhältnissen zu leben. Jedoch wird dem Kind ein Elternteil, meistens der Vater, nach der Scheidung der Eltern vorenthalten. Dass diese bedauerliche Trennung zwischen Kind und Vater, die nicht sein müsste, sehr oft traumatisch wirkt, ist nur natürlich.

Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dieser wachsenden Gruppe von «Halbwaisen» relativ häufig auffällige Jugendliche heranwachsen würden, ist bestimmt nicht aus der Luft gegriffen.

Wunderschön schreibt Frau Wirz von der ruhigen, klaren Einzelbeziehung zur Mutter/zum Vater. Das wäre der Idealfall, wenn nach einer Scheidung noch von Idealfall gesprochen werden kann. Aber wo gibt es die ruhige, klare Einzelbeziehung zur Mutter und zum Vater? Bestimmt nicht in der konservativen Schweiz, wo es kein gemeinsames Sorgerecht als Regelfall gibt und wo die Kinder in 96 Prozent aller Fälle der Mutter zugesprochen werden – Zahlen, die bei anderen Themen am Rechtsstaat zweifeln lassen würden.

Wie schön wäre es, wenn es diese funktionierenden Beziehungen des Kindes zu beiden gleichberechtigten Elternteilen gäbe; eine unbelastete Beziehung zum «entsorgten» Elternteil, die nicht durch die Willkür oder gar Rachsucht des anderen Elternteils (wegen obiger Zahl vielfach die Mutter) immer aufs Neue gefährdet wird.

Dieses «Wohl für unsere Scheidungskinder» bleibt wohl so lange Wunschdenken, bis sich Gesetzgebung, Gerichte und Behörden der Realität stellen und auch in der Schweiz endlich die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall eingeführt wird.

Und bis es so weit ist, sollte zumindest alles daran gesetzt werden, dass wenigstens die Besuchszeiten kindergerecht geregelt werden, wenn nötig mit verordneter Mediation.

Martin Hug Selbsthilfegruppe Väter ohne Sorgerecht Eggfeld 18, 9500 Wil

 

 

Neubeginn für Scheidungskinder

Leserbrief: «Jährlich 14 000 Scheidungswaisen», 28.2.06

Es ist sehr bedauerlich, dass mit dem Begriff «Scheidungswaisen» so unsorgfältig umgegangen wird. Kinder aus Scheidungen als «Waisen» zu bezeichnen, lässt vermuten, dass sie alle in einer sehr bedauerlichen Lage leben. Dass dies nicht so sein muss, beweisen Umfragen unter Kindern selbst, Langzeitstudien und vor allem ihre Verhaltensmuster in Schule und Alltag. Weder ihre Bildung noch ihr Sozialverhalten müssen aufgrund einer durchlebten Scheidung der Eltern in «sinnloser Gewalt, Haltlosigkeit und Alkoholexzessen» enden. Oft haben Scheidungskinder durch die Trennung der Eltern die Möglichkeit, neu zu beginnen: Ruhe, Klarheit, Einzelbeziehung zur Mutter/zum Vater und ein Aufarbeiten von körperlichen oder seelischen Wunden werden (erstmals) möglich. Denn nicht alle Scheidungen geschehen aus wunderbaren Familiensituationen heraus.

Ich bitte alle, die an Scheidungskinder denken, dies nicht zu vergessen. Wenn man im eigenen Umfeld fragt, ob eine Scheidung nur Leid gebracht hat, wird man viele verschiedene Antworten erhalten! Solange wir Erwachsenen damit differenziert und sorgfältig umgehen, uns nicht in Pauschalen über Geschiedene und ihre Kinder verlieren, tun wir das Beste für eine Situation, die ja niemand gewollt oder geplant hat. Und vor allem als geschiedene Eltern übernehmen wir so besser Verantwortung zum Wohl unserer Scheidungskinder.

 

Kathrin Wirz Flurhofstr. 50, 9000 St. Gallen

 

Jährlich 14 000 Scheidungswaisen

«Kinder den Eltern weggenommen», 24.2.06

«Rundschau» und Presse bauschen den Fall eines umstrittenen Obhutsentzugs durch die Vormundschaftsbehörde von Ebnat-Kappel auf. Den Eltern wird das Schicksal über ihre Kinder (vorübergehend) aus den Händen genommen.

In der Schweiz gibt es jedes Jahr knapp 20 000 Scheidungen. Die Scheidungsrate liegt bei 44%. Davon sind jährlich zirka 14 000 Kinder betroffen. Jedes Jahr verlieren diese Kinder den direkten Kontakt zu einem Elternteil. In den meisten Fällen ist es konservativerweise der Vater, auf den sie eventuell mit Ausnahme eines knappen Besuchsrechts verzichten müssen.

All das passiert im Stillen. Diesen Vorkommnissen widmen Medien kaum Aufmerksamkeit. Und doch geht es dabei nicht nur um 14 000 Scheidungswaisen pro Jahr, sondern vor allem um die Zukunft unserer Gesellschaft, die je länger je mehr vaterlose Mitglieder bekommt. Werden die Fälle x-Tausender von Scheidungswaisen in ein bis zwei Jahrzehnten aufgearbeitet werden müssen? Dann, wenn endlich die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall in Kraft sein wird?

Ich hoffe, dass die Medien und ihre Leser die 14 000 Scheidungswaisen pro Jahr mehr zur Kenntnis nehmen und an sie denken, wenn Berichte von sinnloser Gewalt, Haltlosigkeit und Alkoholexzessen unter Jugendlichen publiziert werden.