Wie sehen die Wunscheltern im Schuljahr 2005/06 aus? Unsere kleine Umfrage in Lehrerzimmern zeigt: Kooperativ und konservativ, einfühlsam und konsequent. Kurz alles, was Erziehung so anspruchsvoll macht.
Waren das noch Zeiten, als der liebe Gott alles wusste und der Herr Lehrer noch ein bisschen mehr. Als eine «Kopfnuss» langatmige Erklärungen und höfliche Zurechtweisungen ersetzte und sich die Einfühlsamkeit der Eltern auf den Satz beschränkte: «Der Lehrer hat schon Recht.»
Heute schreiben Lehrpersonen nicht nur Schülern schlechte Noten, sondern hinter vorgehaltener Hand auch Eltern: inkonsequent seien einige, rechthaberisch, unkooperativ, übermässig kritisch und unsensibel. Eltern wiederum beschreiben das Mängelwesen Lehrer auf ganz besondere Art: inkonsequent, rechthaberisch, unkooperativ, übermässig kritisch und unsensibel. Der schwarze Peter wird hin- und hergeschoben, bis die Schulzeit um ist.
Der Hang des Menschen, Negatives zu betonen, zeigt sich auch in Lehrerzimmern und an Familientischen. Die guten Beispiele blieben bei dieser kleinen Umfrage trotzdem nicht aus. «Als ich in Eggersriet unterrichtete, konnte ich mit Eltern etwas besprechen, und dann hat das auch geklappt», erzählt Realschullehrer Martin Gsell, «das ist hier in Grub SG nicht immer so.» Er bedauert, dass gemeinsam formulierte Erziehungsziele von einzelnen Eltern schon nach wenigen Wochen aufgegeben würden. Dass nicht «am gleichen Strick» gezogen werden könne.
Gsell mag Eltern, die konservativ erziehen und trotzdem originelle Ideen einbringen. Konservativ heisst beim 40-Jährigen: Erziehung zu Höflichkeit, Disziplin und Ausdauer. Eine Erziehung, in der auch Konflikte und Reibereien ihren Platz haben.
Dass auch Lehrkräfte «Kinder ihrer Zeit» sind, mit mangelnder Autorität Kinder verunsichern und der Nachwuchs dann im Angebotskarussell der Schule führungslos herumwirbelt, gehört für Gsell und seine Lehrerkollegen zum «Problemkreis Schule». «Alle lesen Erziehungsbücher, aber das Durcheinander ist grösser als je zuvor», wirft Elisabeth Krömler beim Gespräch im Lehrerzimmer ein, ebenfalls Lehrerin in Grub.
Bei der Frage, wer die Kinder besser kenne, die Lehrperson oder die Eltern, schweigen viele Lehrer. «Ich erschrecke, wenn ich die Träume und Wünsche eines Kindes besser kenne als seine Eltern», sagt Gsell.
Fast alle befragten Lehrerinnen und Lehrer wünschen sich von Eltern mehr Zeit für ihre Kinder. «Ich wünsche mir nur, dass Eltern mit ihren Kindern auch mal was unternehmen – ausser einkaufen und fernsehen», sagt eine Lehrerin im Schulhaus Spelterini der Stadt St. Gallen. Zum Beispiel miteinander reden, wirft eine andere ein, den Kindern zuhören, ein Spiel spielen. Das steht auch auf einem Zettel, den eine Lehrerin zum Thema ins Lehrerzimmer bringt. Darauf steht aber auch, dass sich Eltern für die Schule nicht im Übermass interessieren, sowohl Kind wie Lehrperson vertrauen sollten. Lehrer wünschten
sich Eltern, die ihren Kindern genügend Schlaf ermöglichen, ein gesundes Frühstück servieren, den Znüni mitgeben. Den Kindern durch gemeinsame Aktivitäten wie Zoobesuche usw. Anregungen geben, die Freizeit aber nicht im Aktivismus ersticken.
Stattdessen wünschten sich einige Eltern mehr Hausaufgaben, heisst es im Spelterini. «Aber nur mehr Rechenblätter ausfüllen und Texte abschreiben.» Die Angst vor ungenügender Leistung des Kindes sei bei Eltern sehr gross, heisst es, als ob vom Schulerfolg alles Glück dieser Erde abhange.
Aber niemand der befragten Lehrerinnen und Lehrer beklagt sich. Jede Zeit habe ihre Lehrer, Kinder und eben auch Eltern. Härter sei der Umgangston geworden. Die Lehrperson sei keine Respektsperson mehr. Und eigene Erfahrungen würden auf die Kinder projiziert. Die Gesellschaft sei heute eben so. Jeder nach seinem Gusto. Jeder nach seinen Wünschen. Pluralistisch und widersprüchlich. Dabei will Martin Gsell keinen Unterschied zwischen Ausländern und Schweizern machen. «Ausländische Eltern ermöglichen mir oft auch eine konsequentere Führung», sagt er. Schliesslich habe der wohlstandsverwahrloste Lümmel ähnliche Probleme wie das unbetreute Unterschichtskind.
Dass die Anteilnahme der Eltern am Schulleben früher nicht grösser gewesen ist, bestätigen viele. Damals gab es noch keine gemeinsamen Schulhausfeste, keine gemeinsamen Autowaschtage, Erziehungsabende oder Schlittelplauschs. Aber es habe mehr oder weniger gemeinsame Erziehungswerte gegeben. Alles war zwar etwas langweiliger, vielleicht sogar falsch – aber eben auch einfacher und weniger anstrengend. Die Multioptionsgesellschaft überlässt auch hier seine Kinder dem Leben ohne Kompass. Und der schwarze Peter wechselt nach Belieben die Himmelsrichtung. Karin Fagetti