08.10.2005

Gemeinsames Sorgerecht als Regelfall?

Der Bundesrat soll prüfen, ob für nicht oder nicht mehr verheiratete Eltern das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder als Regelfall verwirklicht werden kann. Das hat gestern der Nationalrat beschlossen.

Der von Reto Wehrli (CVP/SZ) stammende Vorstoss gab am letzten Sessionstag den Anlass zu einer ausgedehnten Debatte. Wehrli erklärte, das heutige Recht bestrafe die Väter. Gegen den Willen der Frau hätten sie heute fast keine Chance, Mitinhaber der elterlichen Sorge zu werden. Das sei auch zum Nachteil der Kinder. In anderen Ländern würden mit dem gemeinsamen Sorgerecht positive Erfahrungen gemacht.

Warum soll das funktionieren?

Eine Mehrheit der SP bekämpfte das Postulat. «Alle die Männer, die jetzt mitsprechen wollen, wollen nicht mittätig sein», sagte Anita Thanei (SP/ZH). Hinzu komme, dass das geltende Recht sehr wohl das gemeinsame Sorgerecht ermögliche. Und Jacqueline Fehr (SP/ZH) doppelte nach: «Wieso sollte ausgerechnet nach der Scheidung klappen, was vor der Trennung nicht funktionierte?»

Blocher für Vorstoss

Toni Brunner (SVP/SG) bezeichnete es indes als Ungerechtigkeit, dass bei einem Nein der Mutter zum gemeinsamen Sorgerecht das Sorgerecht heute allein ihr zufalle. «Wenn ein Vater nichts zu melden hat, als dass er zahlen kann, ist er auch nicht motiviert, die Zahlungen zu leisten.»

Justizminister Blocher sprach sich für den Vorstoss aus. Wenn Studien zeigten, dass dem Kindeswohl mit dem gemeinsamen Sorgerecht am besten gedient sei, «lässt dies zumindest Zweifel zu, ob die heutige Regel gut ist». (sda)

 

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04.3250 - Postulat.
Elterliche Sorge. Gleichberechtigung
 


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Eingereicht von Wehrli Reto
Einreichungsdatum 07.05.2004
Eingereicht im Nationalrat
Stand der Beratung Im Plenum noch nicht behandelt
Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt:
1. zu prüfen, wie die gemeinsame elterliche Sorge bei nicht oder nicht mehr miteinander verheirateten Eltern gefördert und ob die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall verwirklicht werden kann;
2. dem Parlament gegebenenfalls Vorschläge für eine Revision der einschlägigen Bestimmungen des ZGB zu unterbreiten.

Begründung
Seit dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechtes am 1. Januar 2000 haben auch Eltern, die nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet sind, die Möglichkeit, die elterlichen Sorge für ihre Kinder gemeinsam auszuüben.
Insbesondere im Vergleich mit Deutschland ist aber die Zahl der Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge noch verhältnismässig klein. Ein Grund dafür dürfte sein, dass das Gesetz für die gemeinsame elterliche Sorge voraussetzt, dass beide Eltern mit dieser Lösung einverstanden sind.
Konkret heisst dies, dass gegen den Willen der Frau ein Mann keine Chancen hat, Mitinhaber der elterlichen Sorge zu werden und Erziehungsverantwortung zu übernehmen. Das vergrössert das Risiko eines Kontaktabbruchs zum Nachteil des Kindes.
Aus der Sicht der Frau bevorteilt das geltende Recht also jene, deren Rollenverständnis sich in einer Zahlvaterschaft erschöpft. Die Betreuung der Kinder obliegt in diesen Fällen alleine der Mutter.
Benachteiligt werden hingegen die Väter, die mit ihrem Nachwuchs eine intakte Beziehung weiterhin unterhalten oder eine solche aufbauen möchten. Davon sind sie nämlich ausgeschlossen, sofern nicht eine intakte Beziehung auch mit der Mutter besteht. Zahlen, die im Rahmen des NFP 35 und durch das Bundesamt für Statistik erhoben wurden, untermauern diese Praxiserfahrung.
Verschiedene Staaten, so Deutschland, Dänemark, Frankreich und Grossbritannien, verzichten bei der Scheidung auf eine zwingende Staatsintervention. Vielmehr gilt im Regelfall die gemeinsame elterliche Sorge weiter. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, kann das Gericht auf Antrag die elterliche Sorge einem Elternteil allein zuteilen.
Nach einer umfassenden rechtstatsächlichen Untersuchung (Roland Proksch, Rechtstatsächliche Untersuchung zur Reform des Kindesrechtes, Köln 2002) wird die Neuregelung in Deutschland überwiegend positiv beurteilt. Die gemeinsame elterliche Sorge ist nach Proksch insgesamt gesehen geeigneter als die alleinige elterliche Sorge:
"- die Kommunikation, die Kooperation und den wechselseitigen Informationssaustausch der Eltern miteinander über ihre Kinder positiv zu beeinflussen,
- den Kontakt der Kinder zu beiden Eltern .... aufrechtzuerhalten und zu unterstützen und insoweit auch das Kindeswohl zu fördern,
- das Konfliktniveau zwischen den Eltern zu reduzieren und gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden/vermindern,
- Beeinträchtigungen bei den Kindern durch die Trennung und Scheidung zu mindern,
- die Motivation der Eltern zur eigenständigen Regelung zu verbessern,
- finanziell zufriedenstellende Unterhaltsregelungen zu treffen und einzuhalten" (S. 412 a.a.O.).
Auch bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, zeigt der Rechtsvergleich, dass die gemeinsame elterliche Sorge besser gefördert werden kann. Die Regelung von Artikel 298 ZGB, die a priori die alleinige Zuteilung der elterlichen Sorge an die Mutter vorsieht, ist besonders kritisch zu überprüfen.
Zu beachten ist im Übrigen nicht alleine das Eltern-Kind-Verhältnis. Darüber hinausgehend ist die Bedeutung des gesamten familiären Umfeldes, insbesondere die Möglichkeit der Grosseltern-Grosskind-Beziehung in die vorliegend angeregten Überlegungen miteinzubeziehen.
Der Bundesrat wird eingeladen, auch im Lichte der positiven ausländischen Erfahrungen die schweizerische Regelung zu überprüfen und dem Parlament gegebenenfalls Revisionsvorschläge zu unterbreiten.

Erklärung des Bundesrates vom 25. August 2004
Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulates.

 

Chronologie:
18.03.2005 NR Bekämpft; Diskussion verschoben.
07.10.2005 NR Annahme - (Auftrag an Bundesrat, gemeinsame elterliche Sorge zu prüfen)
 

Amtliches Bulletin - die Wortprotokolle
 
Zuständig Justiz- und Polizeidepartement (EJPD)
Mitunterzeichnende
Bekämpft von
Deskriptoren elterliche Sorge; Sorgerecht; getrennt lebende Person; unverheirateter Elternteil; Erziehung;
Kindsrecht; Eherecht; Gleichstellung von Mann und Frau;
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